Tillich zieht Bilanz seiner Bundesratspräsidentschaft
Bundesratspräsident Tillich hat in einer Rede Bilanz für die Bundesratsratspräsidentschaft des Freistaates Sachsen gezogen. Zum Auftakt seiner Oktobersitzung wählt der Bundesrat traditionell ein neues Präsidium. Den Vorsitz übernimmt ab dem 1. November 2016 turnusgemäß die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Neben der Präsidentin werden auch zwei Stellvertreter gewählt: Der derzeit amtierende Bundesratspräsident Stanislaw Tillich wird Erster Vizepräsident, Zweiter Vizepräsident der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller. Diese Wahlen folgen ebenfalls einer Regel: Den Ersten Vizepräsidenten stellt jeweils der Präsident des Vorjahres, den Zweiten Vizepräsidenten der designierte Präsident des nachfolgenden Geschäftsjahres.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
In zwei Wochen findet ein für mich sehr bewegendes Amtsjahr ein Ende.
Ich möchte deshalb gleich zu Beginn die Gelegenheit nutzen und mich herzlich bedanken, zum einen bei Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern. Sie haben mir diese Aufgabe sehr leicht gemacht. Bedanken möchte ich mich selbstverständlich auch bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesrates, die mich während des vergangenen Jahres mit Rat und Tat unterstützt haben.
Nun lassen Sie mich einige Worte zu den vergangenen Tagen sagen! Ja, bei der ersten Inhaftierung eines so gefährlichen und konkret des internationalen Terrorismus Verdächtigen hätten in unserer Justiz andere Maßstäbe angelegt werden müssen. Der Suizid hätte verhindert werden müssen – in jedem Fall.
Wir werden uns sicherlich besser auf den Umgang mit Häftlingen mit einem solchen Täterprofil vorbereiten müssen. Wir werden zudem anhand der Ermittlungsergebnisse genau prüfen, ob wir Gesetze und Vorschriften anpassen müssen. Diese Fragen will ich von meinem Kabinettsmitglied Justizminister Sebastian Gemkow beantwortet haben.
Von Staatsversagen in Sachsen zu sprechen ist eine sehr weitgehende Kritik. Öffentliche Sicherheit und Ordnung funktionieren in Sachsen. Das belegen auch die Erfolge bei der Verfolgung extremistischer Straftaten in den letzten Monaten. Natürlich kann man dieses und anderes immer noch besser machen, Fehler ausmerzen und aus ihnen lernen. Darin werden wir nicht nachlassen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission stehen die Sächsische Staatsregierung und ich persönlich offen gegenüber.
Lassen Sie mich nun zu meiner Amtszeit als Bundesratspräsident kommen!
Es war mir eine große Ehre, die deutschen Länder im Rahmen unserer Verfassungsordnung vertreten zu dürfen, ob im Inland oder im Ausland.
Vor allem im Ausland habe ich immer wieder gespürt, wie groß die Bewunderung für unseren Föderalismus als besondere Form der Machtverteilung ist und wie groß die Begeisterung darüber ist, dass das auch tatsächlich funktioniert.
Im Inland wird der Föderalismus leider gelegentlich schlechtgeredet. Er ist aber das Gegenteil: eine große Erfolgsgeschichte. Wir haben es geschafft, Wettbewerb und Kooperation zu verbinden. Das ist nicht immer leicht, und das nervt gelegentlich. Aber am Ende stand bisher immer eine Lösung.
Wir haben es gerade letzte Nacht miteinander erlebt; darüber bin ich glücklich. Wenn etliche heute Morgen etwas müde sind, liegt das daran, dass wir diese Nacht – aus meiner Sicht – erfolgreich waren.
Die mögliche Vereinbarung zur Neuregelung der BundLänder-Finanzbeziehungen beendet demnach die deutsche Einheit in der Finanzverfassung und wird uns für Jahrzehnte Grundlage sein. Es war sehr wichtig, dieses schwierige Thema zum Abschluss zu bringen. Ich hoffe, dass uns das auch heute gelingt.
Als Ministerpräsident eines ostdeutschen Landes ist mir die Neuordnung ein besonderes Anliegen. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir nach dem Aufbauen nun aufholen können, damit wir in absehbarer Zeit gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West haben.
Alte Verbindungen stärken und neue Verbindungen ermöglichen, diesem Ziel war das sächsische Motto »Brücken bauen« verpflichtet. Wir haben dazu einen Beitrag leisten können.
Mir waren dabei die Brücken nach Osteuropa ein besonderes Anliegen. Ich bin ganz bewusst nicht nur nach Paris und Den Haag gereist, sondern auch nach Warschau und Prag. Und als Abschluss werde ich nach Ungarn fahren, um beim 60. Jahrestag des Budapester Aufstandes mit anwesend zu sein.
Wir haben in diesem Jahr 25 Jahre Freundschaftsvertrag mit Polen feiern dürfen. Mit ihm wurden aus Nachbarn Freunde. Das ist ein großes Glück für beide Seiten.
Vielleicht sind wir Ostdeutsche tatsächlich näher dran an Osteuropa: Wir sind gemeinsam mit Ungarn, Polen, der damaligen Tschechoslowakei und anderen Staaten den Weg in die Freiheit gegangen. Wir wissen, wie groß die Herausforderungen waren und welches Potenzial in unseren Nachbarn steckt. Mein Wunsch ist: Machen wir uns das zunutze, wenn es darum geht, in Europa Wege zu finden und zu beschreiten, die zu neuer Einigkeit führen!
Die Staaten Mittel- und Osteuropas bringen ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Kulturen und ihre eigenen Erfahrungen in die Gestaltung von politischen Umbrüchen mit ein. Deshalb sollte uns ihre Stimme wichtig sein, wenn es um die Zukunft unseres vereinten, friedlichen und demokratischen Europas geht.
Die Politik steht überall in Europa vor neuen und sehr großen Herausforderungen: in der Sache, aber auch in der Art und Weise, wie Politik funktioniert. Das hat sich in den vergangenen Monaten ganz besonders bei zwei Themen gezeigt: den Flüchtlingen und dem Terror. Beide Themen haben auch uns in diesem Hause intensiv beschäftigt.
Ich erinnere an das Asylpaket II. Es war wichtig und hilft vor allem den Kommunen, die die Hauptlast bei der Integration der Flüchtlinge tragen. Wenn wir uns fragen, wo wir beim Thema Flüchtlinge und Asyl vor einem Jahr standen, und eine ehrliche Antwort geben, dann können wir feststellen: Das Abendland ist nicht untergegangen. Mehr noch: Es war zwar eine sehr große Kraftanstrengung, aber sie hat uns gemeinsam weitergebracht. Denn beide Themen haben dazu geführt, dass wir in Deutschland eine intensive und vielschichtige Debatte darüber geführt haben, was uns ausmacht, was uns wichtig ist, was uns verbindet. Diese Debatte war wichtig. Und sie war 25 Jahre nach der Wiedervereinigung fällig.
Im letzten Jahr haben wir aber auch bei einigen eine neue, eine erschreckende Verrohung der Sprache erlebt. Mehr noch: Aus einer Verwahrlosung im Denken wird immer häufiger eine Verwahrlosung im Handeln. Dadurch werden Brücken zerstört.
Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, wie man die am rechten und linken Rand Radikalisierten für unser Gemeinwesen begeistern und in die demokratische Zivilgesellschaft zurückholen kann und wie wir vor allem eine weitere Radikalisierung und Abkehr von unseren Werten verhindern.
Dabei ist mir eines wichtig: Es kann nicht immer nur um Angebote gehen. Oder um im Bild zu bleiben: Die Brücken sind gebaut, aber man muss schon selbst darüber gehen.
Es ist der Populismus, der sich in Gesellschaft und Politik breitmacht, der in Echtzeit weitergetragen und verstärkt wird im Internet und in den sozialen Medien. Er ist Gift für unsere Demokratie; denn er will gar keinen Dialog, und er grenzt aus, weil er mit Vielfalt nichts anfangen kann. Hier ist jeder gefordert, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen.
Dieses Haus und der Föderalismus sind integraler Bestandteil dieser Ordnung. Anlässlich des Jubiläums 25 Jahre Bundesrat im vereinten Deutschland war Ende November letzten Jahres Bundespräsident Joachim Gauck hier im Plenarsaal zu Gast. In seiner Rede hat er den Föderalismus als »lernfähiges System« beschrieben, weil es »seine Sensoren nah bei den Menschen hat«. Ja, er ging noch einen Schritt weiter: Der Föderalismus stehe für eine politische Kultur der Abwägung, des Kompromisses und des Ausgleichs. »Maß und Mitte ... sind Werte, die unserem Land guttun, gerade in bewegten Zeiten«, so Joachim Gauck.
Die Erwartungen der Menschen an die Politik mögen gewachsen sein. Gelegentlich habe ich den Eindruck, Erwartung an Politik ist es nicht mehr, den Rahmen für eine Gesellschaft zu setzen; vielmehr werden wir für die individuelle Zufriedenheit jedes Einzelnen verantwortlich gemacht. Aber ein Förderprogramm, das glücklich macht, gibt es nicht. Es bleibt unsere Aufgabe, in den Ländern und in Deutschland gute Lebensbedingungen, gleichberechtige Chancen zu schaffen, aus denen jeder und jede das Beste machen kann und selbst machen muss.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich bin für meine Zeit als Bundesratspräsident sehr dankbar. Für die Minderheit, der ich angehöre, die Lausitzer Sorben, ist es eine besondere Ehre, dass einer der ihren dieses Amt hat ausüben dürfen. Lassen Sie mich deshalb wenige Worte in meiner Muttersprache sagen: Jako łužiski serb a wosobinsce čuju so česčeny, zo sym směł zastupnistwo předsydy zwjazkoweje rady wukonjeć.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich habe das, was ich gerade auf Deutsch gesagt habe, auf Sorbisch wiederholt. Also: Ich bin stolz darauf und fühle mich geehrt, dass ich als Angehöriger einer nationalen Minderheit in Deutschland das Amt des Bundesratspräsidenten habe ausüben dürfen.
Nunmehr ist es an uns, eine Nachfolgerin zu wählen. Ich wünsche meiner Nachfolgerin alles Gute und gutes Gelingen bei der Ausübung ihres Amtes und letztlich auch bei dem Projekt des weiteren Zusammenführens der Gesellschaft in dem Sinne, weiterhin Brücken zu bauen.
Vielen Dank.