964. Bundesratssitzung vom 2. Februar 2018
Wichtigste Themen: Sächsische Initiativen zu SED Unrecht und zur Entlastung der Sozialgerichte + Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) + EU-Katastrophenschutz + EU-Richtlinie zu schadstoffarmen Straßenfahrzeugen + Parteienfinanzierung
Zur vollständigen Tagesordnung einschließlich aller Drucksachen, Beschlüsse usw. dieser Bundesratsplenarsitzung:
Hier finden Sie das Abstimmungsverhalten des Freistaates Sachsen und die Abstimmungsergebnisse aus der 964. Sitzung des Bundesrates.
Der Bundesrat hat den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zum neuen Vorsitzenden des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten gewählt.
Notwendig wurde die Neuwahl, weil der bisherige Ausschussvorsitzende Stanislaw Tillich Ende letzten Jahres vom Amt des Ministerpräsidenten zurückgetreten war. Sein Nachfolger Michael Kretschmer ist seit 13. Dezember 2017 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen.
Das Land hält traditionell den Vorsitz im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. Dieser befasst sich mit der Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, die nach Artikel 32 Abs. 1 des Grundgesetzes Sache des Bundes ist. Sein Aufgabenbereich deckt sich damit weitgehend mit dem des Auswärtigen Amtes – mit Ausnahme der Europapolitik, für die der EU-Ausschuss zuständig ist.
Da die Länder üblicher Weise ihre Regierungschefinnen und Regierungschefs in den Auswärtigen Ausschuss entsenden, wird er auch als »Politischer Ausschuss« bezeichnet. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass er nicht regelmäßig, sondern nur aus wichtigem Anlass zusammentritt. Die Routinearbeit, beispielsweise die Ratifizierung von völkerrechtlichen Verträgen nach Artikel 59 Abs. 2 GG, erledigt der Ausschuss meist im schriftlichen Verfahren.
Ein Entschließungsantrag zur Beseitigung von SED-Unrecht, der unter anderem von Sachsen in den Bundesrat eingebracht worden war, fand im Bundesrat eine breite Zustimmung. Die Entschließung fordert die Bundesregierung auf, sich mit den Antragsfristen in den Gesetzen zur Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung in der DDR zu beschäftigen.
Nach derzeitiger Rechtslage sind Anträge auf Rehabilitierung von staatlich veranlasstem Unrecht in der DDR nur bis zum 31. Dezember 2019 möglich, Anträge auf Folgeleistungen bis zum 31. Dezember 2020. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Opfer politischer Verfolgung immer noch neue Anträge auf Rehabilitierung stellen. Das Bedürfnis nach Ausgleich des erlittenen Unrechts besteht deshalb weiterhin. Nicht alle Betroffenen konnten wegen ihrer erlittenen Traumatisierung bisher über das Erlebte sprechen. Erst mit großem zeitlichem Abstand sind sie in der Lage, sich damit zu befassen und eine Rehabilitierung oder eine Folgeleistung zu beantragen. Die derzeitige Befristung diene in erster Linie administrativen bzw. fiskalischen Zwecken – vorrangig sei jedoch der Anspruch der Opfer auf dauerhafte Rehabilitierung. Deshalb wird die Bundesregierung aufgefordert, die rechtlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Antragsfristen im Strafrechtlichen, Verwaltungsrechtlichen und im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz zu schaffen
Die Initiative verfolgt überdies das Ziel, die derzeit ebenfalls noch befristete Möglichkeit, Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zur Überprüfung von Mandatsträgern, Beamten und Richtern dauerhaft zu verwenden. Außerdem soll auch weiterhin zugunsten der von politischer Strafverfolgung in der DDR Betroffenen auf die Informationen aus dem ehemaligen Strafregister der DDR zurückgegriffen werden können.
Die Beseitigung von SED-Unrecht stellt für den Freistaat Sachsen ein wichtiges Anliegen dar. Erst im November 2017 hat sich Sachsen gemeinsam mit Thüringen erfolgreich im Bundesrat dafür eingesetzt einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, der ehemaligen Heimkindern in der DDR Erleichterung bei der Rehabilitierung verschaffen soll.
Im Bundesrat hat sich keine Mehrheit für die von Sachsen unterstützte Subsidiaritätsrüge zu Katastrophenschutzverfahren der EU gefunden. Der Bundesrat wird seinen Bedenken jedoch in einer der nächsten Sitzung in einer kritischen Stellungnahme Ausdruck verleihen.
Die EU-Kommission möchte eine eigene Reserve zur Hilfe nach Naturkatastrophen wie Erdbeben, Waldbränden oder Überflutungen aufbauen. Die sogenannten rescEU-Teams sollen unter der vollständigen operativen Kontrolle der Kommission stehen und mit Löschflugzeugen, Pumpen, Feldlazaretten, medizinischen Notfallteams sowie Material ausgestattet sein. Auch bei den bereits existierenden nationalen Einheiten beabsichtigt die Kommission Neuerungen: Sie soll Brüssel künftig direkt anfordern können. Bislang gilt hier das Prinzip der Freiwilligkeit. Darüber hinaus ist eine verstärkte Abhängigkeit von Finanzierungsmaßnahmen in anderen politischen Bereichen und der Stärkung der Katastrophenprävention geplant: So sollen Kofinanzierungen beispielsweise der Entwicklung des ländlichen Raums, der Gesundheit oder der Forschung künftig von den Fortschritten der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Katastrophenprävention abhängig gemacht werden.
Der Freistaat Sachsen ist der Ansicht, dass die Kommission mit dem Beschlussvorschlag ihre Kompetenzen überschreitet, weil die geplanten Maßnahmen zu sehr in die nationalen Hoheitsrechte der Mitgliedstaaten eingreifen. Die Kommission ist nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verpflichtet, sich beim Katastrophenschutz auf Maßnahmen zur Unterstützung und Koordinierung der Mitgliedstaaten zu beschränken. Insbesondere der Aufbau eigener Ressourcen sowie die geplanten wesentlichen Einsatz- und Finanzierungsentscheidungen überschreiten die Kompetenz der EU. Eine Verlagerung der Verantwortung für den Katastrophenschutz auf die EU widerspricht dem Subsidiaritätsprinzip. Es hat sich bewährt, den Schutz der Bevölkerung möglichst nah bei den Betroffenen anzusiedeln. Jeder Mitgliedstaat muss deshalb primär selbst für Katastrophenprävention und -schutz sorgen. EU-eigene Kapazitäten sind weder erforderlich noch angemessen.
Der Bundesrat hat zu einem Richtlinienvorschlag der EU für mehr saubere Straßenfahrzeuge Stellung genommen. Der Freistaat Sachsen hat die Stellungnahme unterstützt.
Um den Kohlendioxid-Verbrauch einzudämmen, will die EU-Kommission der öffentlichen Hand nun Zielvorgaben bei der Beschaffung von Straßenfahrzeugen setzen. Der Richtlinienvorschlag gehört zum zweiten Teil des Europäischen Straßenverkehrspakets »Clean Mobility Package«. Die Kommission verfolgt damit das Ziel, den CO2-Verbrauch bis 2030 insgesamt um 40 Prozent zu reduzieren und so dem Pariser Klimaübereinkommen gerecht zu werden. Danach werden öffentliche Auftraggeber wie Gemeinden durch verbindliche Quoten verpflichtet, vermehrt »saubere« Fahrzeuge zu beschaffen. Für Deutschland soll eine Quote von 35 Prozent energieeffizienter leichter Nutzfahrzeuge bis 2030 gelten, für LKW eine Quote von 15 Prozent und für Busse eine Quote von 75 Prozent. Wie die Quote innerstaatlich umzusetzen ist, legt die Kommission nicht fest. Neben dem Kauf gelten die Vorgaben auch für andere Vergabeformen. Konkret fallen auch Leasingverträge, Miete und Ratenkauf sowie verschiedene Formen öffentlicher Dienstleistungsaufträge sowohl im Verkehrssektor als auch etwa für die Müllentsorgung oder Postdienste unter die Richtlinie. Das heißt, nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch deren Auftragnehmer müssen sich an die Quoten halten. Zur Begründung der verbindlichen Mindestvorgaben verweist die Kommission darauf, dass in der Vergangenheit im Schnitt nur 4,7 Prozent aller öffentlich beschaffenen Pkw und 0,4 Prozent der leichten Nutzfahrzeuge den Kriterien für Sauberkeit und Energieeffizienz entsprachen.
Der Bundesrat warnt in seiner Stellungnahme vor den finanziellen Folgen für die kommunalen Haushalte. Außerdem verweist der Bundesrat darauf, dass der ÖPNV mit einer Quote von 75 Prozent im Jahr 2030 überproportional belastet ist. Es solle deshalb geprüft werden, ob das Ziel der Luftreinhaltung mit technologieoffeneren Vorgaben, die auch die EURO-VI-Dieselbusse einbeziehen, günstiger zu erreichen ist. Darüber hinaus wird betont, dass die Quote für kleinere Städte und Gemeinden praktisch kaum zu erfüllen sei, da sie nur wenige leichte und schwere Nutzfahrzeuge besitzen. Außerdem fordert der Bundesrat, dass Fahrzeuge, die für den Einsatz in der Feuerwehr, dem Katastrophenschutz und der Polizei konstruiert wurden, nicht unter die Richtlinie fallen, soweit dies zur Sicherstellung der Einsatzfähigkeit erforderlich ist.
Der Bundesrat hat mit den Stimmen Sachsens zu einer Mitteilung der Europäischen Kommission zur Ernährung und Landwirtschaft der Zukunft Stellung genommen.
In der Mitteilung skizziert die Europäische Kommission ihre grundsätzlichen Vorstellungen für die strategische und inhaltliche Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020. Vorgesehen ist, dass die EU weiterhin gemeinsame Ziele definiert, den Mitgliedstaaten aber ein größerer Spielraum und auch mehr Verantwortung bei der Umsetzung eingeräumt wird. Dies soll zu weniger Bürokratie und zu Vereinfachungen führen. Das Zweisäulen-System soll grundsätzlich weitergeführt werden. Auch die Direktzahlungen für Landwirte sollen beibehalten werden. Für die Ausgestaltung sollen die nationalen bzw. regionalen Ebenen zukünftig verschiedene Strategie- und Aktionspläne vorlegen, die von der Kommission notifiziert werden sollen.
Eine hohe Bedeutung will die Kommission auch der Stärkung der ländlichen Räume, der Förderung von Junglandwirten, den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger bei der nachhaltigen landwirtschaftlichen Erzeugung, einer gesunderhaltenden Ernährung sowie der globalen Dimension der GAP (Handel, Migration) beimessen. Es soll eine EU-Plattform für das Risikomanagement eingerichtet werden und geklärt werden, wie Landwirten am besten geholfen werden kann, mit den Ungewissheiten im Zusammenhang mit dem Klima, den Schwankungen auf den Märkten und anderen Risiken klarzukommen.
Die Teile Stellungnahme des Bundesrates, die durch Sachsen unterstützt wurden, gehen zurück auf einen Beschluss der Agrarministerkonferenz vom 18.01.2018.
Der Freistaat Sachsen setzt sich für eine Entlastung der Sozialgerichte ein und hat hierfür erneut eine Initiative zur Änderungen des Sozialgerichtsgesetztes in den Bundesrat eingebracht. Der Gesetzesentwurf hatte bereits im April 2016 eine breite Mehrheit im Bundesrat gefunden, unterfiel jedoch der Diskontinuität und musste deshalb erneut eingebracht werden. Dieser fand abermals breite Unterstützung der Bundesländer.
Die Sozialgerichte in Sachsen sind mit hohen Eingangszahlen konfrontiert. Die Initiative bezweckt, das Verfahren zu verschlanken und dadurch zu beschleunigen. Mit dem Einverständnis der Beteiligten sollen künftig Entscheidungen durch den vorsitzenden Richter allein – d.h. ohne ehrenamtliche Richter – ergehen können. Es soll darüber hinaus ermöglicht werden, bestimmte Teile eines Sachverhaltes aus der gerichtlichen Entscheidung auszuklammern. Aufgrund der Prozessordnung ist das Sozialgericht bislang verpflichtet, einen Leistungsbescheid unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen, selbst wenn bestimmte Aspekte zwischen den Beteiligten unstreitig sind. Ferner soll eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren künftig auch dann entbehrlich sein, wenn das Landessozialgericht einstimmig der Berufung statt zu geben beabsichtigt.
Der Gesetzesentwurf wird nunmehr dem Bundestag zugeleitet. Zuvor wird die Bundesregierung Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Rede von Staatsminister Gemkow:
Sollten Sie Probleme beim Abspielen des Videos haben, finden Sie dieses auch unter www.bundesrat.de/video?id=7198118
Die Bundesländer haben mit Zustimmung Sachsens erstmalig beschlossen, einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen, welcher die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließen soll.
Der Bundesrat hatte bereits 2017 das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21 GG) und das Gesetz zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung mit den Stimmen Sachsens beschlossen. Mit dem Gesetzespaket wird der Umgang mit Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen, zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, neu geregelt.
Hintergrund für das gesetzgeberische Handeln war die Urteilsbegründung im zweiten NPD-Verbotsverfahren. Mit Urteil vom 17. Januar 2017 – Az. 2 BvB 1/13 – hat das Bundesverfassungsgericht zwar die Verfassungsfeindlichkeit der NPD festgestellt, aber ein Parteiverbot nach Artikel 21 GG aufgrund der derzeit geringen Einflussnahme auf die politische Willensbildung abgelehnt. Zugleich hatte das Bundesverfassungsgericht jedoch Möglichkeiten eines Vorgehens gegen Parteien, die verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen, unterhalb der Schwelle eines Parteienverbotes aufgezeigt.
Der Bundesrat hatte ursprünglich einen gemeinsamen Antrag mit dem Bundestag und der Bundesregierung angestrebt. Aufgrund der andauernden Regierungsbildung auf Bundesebene, wurde der Antrag nunmehr nur vom Bundesrat eingebracht.
Über den Ausschluss von der Parteienfinanzierung wird nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Der Ausschluss von der Parteienfinanzierung erstreckt sich auch auf Ersatz- und Nachfolgeorganisationen und ist auf sechs Jahre befristet. Auf Antrag des Bundestages, des Bundesrates oder der Bundesregierung kann das Bundesverfassungsgericht eine Verlängerung des Ausschlusses anordnen. Die Entscheidung über eine solche Verlängerung kann dabei ohne mündliche Verhandlung ergehen und auf Antrag wiederum verlängert werden.