22.09.2017

960. Bundesratssitzung vom 22. September 2017

Wichtigste Themen: Aufhebung des Kooperationsverbotes bei der Bildung | Sächsische Initiative zur Rehabilitierung von Heimkindern in der DDR | Offenes WLAN | Illegale Autorennen| Neue Regelungen zu Rettungsgassen | Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe | Stoffstromverordnung

Zur vollständigen Tagesordnung einschließlich aller Drucksachen, Beschlüsse usw. dieser Bundesratsplenarsitzung:

Hier finden Sie das Abstimmungsverhalten des Freistaates Sachsen und die Abstimmungsergebnisse aus der 960. Sitzung des Bundesrates.

Mehrere Länder haben eine gemeinsame Entschließung zur Aufhebung des Kooperationsverbots im Bildungsbereich in den Bundesrat eingebracht. Die Bundesregierung soll aufgefordert werden, mit den Ländern in Gespräche über eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes einzutreten. Es soll zukünftig als gemeinsame Aufgaben von Bund, Ländern und Kommunen verstanden werden, die Einrichtungen aller Bildungsbereiche in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben noch besser gerecht werden zu können. Die antragstellenden Länder wollen deshalb die Rahmenbedingungen für eine finanzielle Beteiligung des Bundes an der Finanzierung des Bildungssystems festlegen. Die fachliche Verantwortung für die bildungspolitischen Ziele soll aber weiterhin den Ländern obliegen.

Über die Aufhebung des sogenannten »Kooperationsverbots« wird bereits seit Längerem kontrovers diskutiert. Das Thema spielt auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle. Eine Entflechtung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern im Bildungsbereich war erst in der Föderalismusreform von 2006 vorgenommen worden. Umstritten ist u. a. die Frage, ob für eine  Kooperation von Bund und Ländern, die es auch nach der Föderalismusreform weiterhin gibt, erneut die Verfassung geändert werden muss. Zudem würde der Bund im Falle einer verfassungsrechtlich verankerten Finanzierungsverantwortung auch einen Gestaltungsanspruch geltend machen.

Die Entschließung wurde im Bundesrat vorgestellt und zur weiteren Beratung in die Ausschüsse verwiesen. Die Entschließung kann vom Bundesrat mit einfacher Mehrheit verabschiedet werden, für eine Änderung des Grundgesetzes wäre dann aber eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Ministerpräsident Tillich machte deutlich, dass das Thema für Schnellschüsse zu komplex sei. Übergebe man dem Bund die Finanzhoheit, müsse man damit rechnen, dass er die Standards setze. Er sprach sich dafür aus, einen Vorschlag für einen Bildungsstaatsvertrag der Länder zu prüfen. Ein solcher könnte die derzeit bestehenden Probleme der Vergleichbarkeit von Abschlüssen lösen und einen unkomplizierten Wechsel für Lehrer und Schüler zwischen den Ländern ermöglichen, ohne dass die Länder ihre Zuständigkeiten aus der Hand geben müssten. Das Thema Bildung eigne sich nicht für Experimente und sei zu wichtig, um am Ende einen »kleinsten gemeinsamen Nenner« umzusetzen, so Tillich.

Rede von Ministerpräsident Tillich

Sachsen und Thüringen setzen sich weiterhin für die Rehabilitierung wegen staatlichem DDR-Unrecht ein. Eine gemeinsame Initiative beider Länder zur Erleichterung der Rehabilitierung ehemaliger DDR-Heimkinder, die aufgrund der politischen Verfolgung und Inhaftierung ihrer Eltern untergebracht waren, hatte bereits Anfang des Jahres eine breite Zustimmung im Bundesrat gefunden. Da sich aber der Bundestag dem Anliegen bislang nicht annahm, fällt die Initiative mit dem Ende der Legislaturperiode des Bundestages in die Diskontinuität und muss deshalb erneut eingebracht werden.

Beide Länder sehen weiterhin Handlungsbedarf. Nach aktueller Rechtslage müssen die Betroffen für ihre Rehabilitierung beweisen, dass die Heimunterbringung zumindest auch eine politische Benachteiligung bezweckte. Dieser Nachweis gelingt den Betroffenen in der Regel nicht. Nach dem Gesetzentwurf soll der Verfolgungszweck der Heimunterbringung aus der Inhaftierung der Eltern aufgrund von rechtsstaatswidrigen Entscheidungen geschlussfolgert werden, wenn die Unterbringung in ein Heim gleichzeitig erfolgte. Auch Betroffene, deren Anträge bereits abgelehnt wurden, sollen von der vorgeschlagenen Gesetzesänderung profitieren und erneut einen Antrag stellen können.

Bei erfolgreicher Rehabilitierung haben ehemalige Heimkinder Anspruch auf eine einmalige Kapitalentschädigung. Für jeden angefangenen Kalendermonat der Heimunterbringung wird ein Betrag in Höhe von 306,78 Euro gewährt. Darüber hinaus können die Betroffenen auf Antrag eine Opferrente erhalten, wenn sie mindestens 180 Tage im Heim untergebracht waren und in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind. Die Opferrente beträgt derzeit monatlich 300 EUR. Nach Schätzungen können etwa 200 ehemalige Heimkinder von der Neuregelung betroffen sein. Für den Freistaat Sachsen rechnet man mit etwa 50 Fällen.

Flankierend setzen sich beide Länder dafür ein, die Ausschlussfrist für Anträge auf strafrechtliche Rehabilitierung, die zu 31. Dezember 2019 abläuft, um 10 Jahre, also bis zum 31. Dezember 2029, zu verlängern. Sachsen rechnet insgesamt noch mit bis zu 200 Bewilligungen aufgrund der Verlängerungen der Antragsmöglichkeit.

Rede von Staatsminister Gemkow

Noch vor der Sommerpause hatte der Bundestag für die Einführung der Strafbarkeit illegaler Straßenrennen gestimmt. Dem schloss sich der Bundesrat nun mit sächsischer Unterstützung an. Damit kann die ursprünglich von den Ländern geforderte Strafrechtsänderung demnächst in Kraft treten.

Künftig droht für das Ausrichten, das Durchführen und die Teilnahme an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennens eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahre. Der Bundestag ergänzte die Länderinitiative noch um eine Strafbarkeit von sog. Einzelrasern, die Rennen gegen sich selbst fahren. Nach geltender Rechtslage erfüllen Rennen lediglich den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit und werden mit einer Geldbuße im mittleren dreistelligen Bereich sowie einem einmonatigen Fahrverbot geahndet. Strafrechtliche Sanktionen kommen hingegen erst in Betracht, wenn Menschen zu Schaden kommen oder der Tatbestand einer verkehrsrechtliche „Todsünde“ erfüllt ist. Dass diese Rechtslage den durch Straßenrennen verursachten erheblichen und inakzeptablen Risiken für Leib und Leben aller Verkehrsteilnehmer nicht gerecht wird, daran erinnerte der sächsische Staatsminister für Justiz Sebastian Gemkow in seiner Rede. Vielmehr bedürfe es eines klaren gesetzgeberischen Signals, dass Raserei und illegale Autorennen keine Kavaliersdelikte seien, so Gemkow weiter.

Dieses Signal geht neben den neuen Straftatbeständen auch vom Nebenstrafrecht aus. Denn das Gesetz sieht die Möglichkeit der Fahrerlaubnisentziehung und der Verhängung einer unter Umständen mehrjährigen Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis sowie die Einziehung der zum Rennen eingesetzten Fahrzeuge vor.

Rede von Staatsminister Gemkow

Der Bundesrat hat den Sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich erneut zum Vorsitzenden des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten gewählt. Der Ausschuss befasst sich mit der Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten. In den Sitzungen des Ausschusses erstattet der Außenminister den Ministerpräsidenten Bericht über außenpolitische Schwerpunkte der Bundesregierung. Ministerpräsident Tillich hat den Vorsitz in diesem Gremium seit dem Jahr 2008 inne.

Da die Länder traditionell ihre Regierungschefs in den Auswärtigen Ausschuss entsenden, gehört dieser zu den beiden »Politischen Ausschüssen« des Bundesrates. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass der Ausschuss nicht regelmäßig, sondern nur aus wichtigem Anlass zu einer »politischen Sitzung« zusammentritt. Daneben erfolgt die notwendige Beteiligung des Ausschusses durch Umfrageverfahren unter den Ausschussmitgliedern.

Der Bundesrat hat das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz erneut von der Tagesordnung abgesetzt. Das Gesetz war schon in der 959. Bundesratssitzung am 7. Juli kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt worden.

Mit dem Gesetz sollen Kinder und Jugendliche künftig besser vor Gewalt geschützt und in ihren Rechten gestärkt werden. So wird u. a. die Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern und Kinderärzten verbessert. Mediziner erhalten mehr Klarheit, wann sie ihre Schweigepflicht entbunden sind und einen Verdachtsfall auf Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt melden dürfen. Das Gesetz sieht außerdem einen verbesserten Schutz von Kindern und Jugendlichen in Heimen vor, indem die Aufsichtsbehörden mehr Kontrollmöglichkeiten erhalten. Zudem werden Ombudsstellen als externe und unabhängige Anlaufstellen geschaffen, die allen Minderjährigen bei Beschwerden zur Verfügung stehen. Weitere Regelungen beziehen sich auf den Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften und auf die Kostenerstattung bei Leistungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Hier wird den Ländern ein Instrument zur Kostensteuerung eröffnet, indem die Kostenerstattung an den Abschluss von Rahmenverträgen mit den kommunalen Spitzenverbänden und Leistungserbringern geknüpft werden kann. Strittige Regelungen bspw. zum Pflegekinderwesen wurden aus dem Gesetzentwurf wieder herausgenommen. 

Der Freistaat Sachsen befürwortet das Gesetz in der vom Bundestag veränderten Form, auch wenn eine weiterreichende Reform des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB VIII), die nach Auffassung des sächsischen Sozialministeriums insbesondere die Kostenentwicklung zum Gegenstand des Reformvorhabens machen sollte, noch aussteht.

Das Gesetzgebungsverfahren ist mit der heutigen Absetzung noch nicht gescheitert. Der Bundesrat könnte in einer der nächsten Sitzungen über das Vorhaben abstimmen – auch nach Konstituierung des 19. Deutschen Bundestages. Denn der Diskontinuität zum Ende der 18. Legislaturperiode unterfallen nur solche Gesetze, die im Bundestag noch nicht abschließend behandelt wurden.

Der Bundesrat hat mit der Zustimmung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes Rechtssicherheit für die Betreiber von öffentlichem WLAN geschaffen.

Damit besteht für viele Restaurant, Hotels oder Shops, die ein öffentliches WLAN-Netz anbieten wollen, Klarheit über Haftungsbeschränkungen. Darüber hinaus werden die Internetanbieter von einem Großteil der bisher bestehenden Kostentragungspflicht, insbesondere bei Abmahnungen, befreit. Schließlich wird klargestellt, dass WLAN-Betreiber nicht von einer Behörde verpflichtet werden dürfen, Nutzer zu registrieren oder die Eingabe eines Passworts zu verlangen, obgleich dies auf freiwilliger Basis weiterhin möglich bleibt.

Die Bundesländer verbinden mit der Zustimmung zum Gesetz die Erwartung, dass nunmehr der Weg für mehr öffentliches WLAN frei ist, wie es in anderen Staaten seit längerem zur Selbstverständlichkeit gehört.

Der Bundesrat hat die sogenannte Stoffstromverordnung von der Tagesordnung abgesetzt und in die Fachausschüsse zurücküberwiesen.

Ziel der Verordnung ist es, den Stickstoff- und Phosphoreintrag in den Boden und ins Grundwasser deutlich zu senken und so u.a. die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie umzusetzen. Das kürzlich novellierte Düngegesetz schreibt dafür ab 2018 die Erstellung einer sogenannten Stoffstrombilanz für fast alle landwirtschaftlichen Betriebe vor. Die Verordnung umfasst Vorgaben zur Mengenerfassung und Bilanzierung von Stickstoff und Phosphor, die einem Betrieb zugeführt und von ihm abgegeben bzw. verkauft werden.

Der Freistaat Sachsen lehnte in den Ausschüssen alle Änderungen ab, die den Bürokratieaufwand für die Betriebe deutlich erhöhen würden und Tierhaltungsbetriebe durch zu stringente Auflagen wirtschaftlich gefährden könnten.

Der Umwelt- und der Agrarausschuss hatten im Vorfeld der Sitzung zahlreiche Änderungen an der Verordnung vorgeschlagen, die die Bundesregierung nicht mittragen wollte. Zu einer Abstimmung über die Ausschussempfehlungen kam es aufgrund der Absetzung nicht. Durch die Absetzung bleibt die Möglichkeit einer späteren Beschlussfassung weiterhin erhalten.

Der Bundesrat hat der Verordnung zum Genehmigungsverfahren mit Maßgaben zugestimmt.

Die Verordnung dient der Umsetzung von EU-Recht (2014/52/EU) und orientiert sich an den Vorgaben des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) bei öffentlichen und privaten Projekten. Sie berücksichtigt die Besonderheiten des immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahrens. Änderungen sind vorgesehen bei der Berücksichtigung des Flächenschutzes, des Klimaschutzes und der Klimaanpassung, der Energieeffizienz und von Unfall- und Katastrophenrisiken.

Neue und detailliertere Vorgaben enthält die Richtlinie 2014/52/EU ferner für die Erstellung des UVP-Berichts und für die Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Zur Information der Öffentlichkeit sollen zukünftig verstärkt elektronische Instrumente eingesetzt und zentrale Internetportale eingerichtet werden. Damit soll die Transparenz der Umweltverträglichkeitsprüfung und damit auch der immissionsschutzrechtlichen Verfahren erhöht werden.

Der Freistaat Sachsen unterstützte die Maßgaben zur Vereinfachung der Vorgaben bzw. zum Abbau von Bürokratieaufwand für die Unternehmen und stimmte der Mehrzahl der Änderungen zu.

Der Bundesrat hat die 53. Verordnung zur Änderung straßenrechtlicher Vorschriften beschlossen. Die Verordnung stand bereits am 7. Juli 2017 auf der Tagesordnung. Damals zog die Bundesregierung den Entwurf jedoch kurzfristig zurück, nachdem der Bundesrat mit sächsischer Unterstützung eine schärfere Ahndung bei der Behinderung von Rettungskräften gefordert hatte.

Die neuen Regelungen sollen das Ablenkungsrisiko durch Multimediageräte reduzieren und eine Reihe von Bußgeldern anheben.

Angesichts des technischen Fortschritts und der fortschreitenden Vernetzung von Fahrzeug und Unterhaltungselektronik wird das Verbot der Handy-Nutzung am Steuer technikoffener formuliert. Für die Blickabwendung bei der Bedienung eines elektronischen Gerätes während der Fahrt lässt die konsensfähige Vorlage nun eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wettverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät zu.

Außerdem wurde auf Forderung der Länder der Bußgeldrahmen für das Nichtbilden einer Rettungsgasse erhöht. Wer für Polizei- und Hilfskräfte keine Rettungsgasse bildet, muss zukünftig mit einem Bußgeld bis zu 200 Euro rechnen. Kommt es darüber hinaus zu einer weiteren Behinderung, Gefährdung oder Sachbeschädigung, kann es bis zu 120 Euro teurer werden. Außerdem droht ein einmonatiges Fahrverbot.

Darüber hinaus schreibt der Verordnungsentwurf vor, dass Autofahrer ihr Gesicht am Steuer nicht verhüllen oder verdecken dürfen, um eine Identitätsfeststellung zu vereiteln.

Für die spezifischen Programme des Programmausschusses des Forschungsrahmenprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union hat der Bundesrat vereinbarungsgemäß nach Ablauf der halben Programmlaufzeit 14 neue Beauftragte benannt. Durch einen Wechsel der Beauftragten soll eine andere Schwerpunktsetzung in der Programmarbeit ermöglicht werden.

Für den Programmausschuss Nr. 5 »Nanotechnologie, fortgeschrittene Werkstoffe, Biotechnologie, fortgeschrittene Fertigung und Verarbeitung« hat der Bundesrat Herrn Wolfgang Kill aus Sachsen benannt.

Die im Programmausschuss versammelten Themenfelder sind für den Freistaat Sachsen insbesondere mit Blick auf den Standort Dresden von herausragender wirtschaftspolitischer Bedeutung.

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