945. Bundesratssitzung am 13. Mai 2016
Zur vollständigen Tagesordnung einschließlich aller Drucksachen, Beschlüsse usw. dieser Bundesratsplenarsitzung:
Hier finden Sie das Abstimmungsverhalten des Freistaates Sachsen und die Abstimmungsergebnisse aus der 945. Sitzung des Bundesrates:
Der Bundesrat hat eine Initiative zur Entlastung der Sozialgerichte verabschiedet, die vom Freistaat Sachsen in der 944. Sitzung in den Bundesrat eingebracht worden war.
Nicht nur die sächsischen Sozialgerichte sind weiterhin mit hohen Eingangszahlen belastet. Rund 419.000 Verfahren gingen deutschlandweit pro Jahr allein in der ersten Instanz ein.
Die sächsische Initiative bezweckt, das Verfahren zu verschlanken und dadurch zu beschleunigen. Mit dem Einverständnis der Beteiligten sollen künftig Entscheidungen durch den vorsitzenden Richter allein – d.h. ohne ehrenamtliche Richter – ergehen können sowie ermöglicht werden, bestimmte Teile eines Sachverhaltes aus der gerichtlichen Entscheidung auszuklammern. Aufgrund der Prozessordnung ist das Sozialgerichtgericht bislang verpflichtet, einen Leistungsbescheid unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen, selbst wenn bestimmte Aspekte zwischen den Beteiligten unstreitig sind. Ferner soll eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren künftig auch dann entbehrlich sein, wenn das Landessozialgericht einstimmig der Berufung statt zu geben beabsichtigt. Sachsens Justizminister Gemkow unterstrich in seiner Rede nochmals das Bedürfnis nach einer Entlastung der Sozialgerichte unter Wahrung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Kläger.
Die Initiative wird nunmehr der Bundesregierung zur Bewertung zugeleitet.
Video zur Rede Gemkow
Der Bundesrat hat zum Entwurf des Prostitutionsschutzgesetzes umfangreich Stellung genommen.
Die Regelungen des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs betreffen sowohl Prostituierte als auch Betreiber von Bordellen. Es sollen gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, um die in der Prostitution Tätigen besser zu schützen und ihr Selbstbestimmungsrecht zu stärken. Außerdem sollen fachgesetzliche Grundlagen zur Gewährleistung verträglicher Arbeitsbedingungen und zum Schutz der Gesundheit der in der Prostitution Tätigen geschaffen werden, um Kriminalität in der Prostitution wie Menschenhandel, Gewalt gegen Prostituierte, Ausbeutung von Prostituierten und Zuhälterei zu bekämpfen.
Dem Gesetzentwurf waren lange und intensive Verhandlungen der Koalitionspartner vorausgegangen. Der Freistaat Sachsen bekennt sich weitgehend zu dem erzielten Kompromiss und hat deshalb kritische Anträge im Bundesrat, die wesentliche Regelungen des Gesetzentwurfs in Frage stellen, nicht unterstützt. Allerdings kritisiert Sachsen wie die Mehrheit der anderen Länder die Einschätzung der durch das Gesetz für die Haushalte der Länder und Kommunen entstehenden Kosten. Diese sei nicht nachvollziehbar und unvollständig, zudem fordert der Bundesrat die Begrenzung der Kosten und die Kompensation durch den Bund. Ferner sprechen sich die Länder dafür aus, dass das Prostituiertenschutzgesetz erst zum 1. Januar 2018 (anstelle des 1. Juli 2017) in Kraft tritt, da die Zeit für die auf Landesebene nötigen Umsetzungsmaßnahmen ansonsten zu kurz bemessen sei.
Der Gesetzentwurf wird nun mit der Stellungnahme des Bundesrates zu weiteren Beratungen an den Bundestag überwiesen.
Der Bundesrat hat zum Gesetzesentwurf zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung kritisch Stellung genommen.
Der Entwurf bezweckt, in der Gerichtspraxis offenbar gewordene Strafbarkeitslücken unter Beibehaltung der bisherigen Systematik zu schließen. Diese Systematik aber wird zunehmend in Frage gestellt. Es wird gefordert, dass auch die Missachtung eines klar formulierten »Nein« ohne weitere Umstände, wie sie der aktuelle Reformentwurf vorsieht, strafwürdig sei. Das sieht auch Sachsen so. In Anbetracht der Vorkommnisse in der Silvesternacht in Köln setzt sich Sachsen zudem dafür ein, auch »Grabschen« durch einen neuen Tatbestand der sexuellen Belästigung unter Strafe zu stellen. Nach bisheriger Rechtslage kommt für solche Fälle allein eine Strafbarkeit wegen tätlicher Beleidigung in Betracht, die aber nicht der Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung Rechnung trägt. Weiteren Handlungsdarf sieht Sachsen im Hinblick auf sexuelle Übergriffe aus Gruppen heraus und unterstützt eine Prüfbitte aus Bayern mit dem Ziel, insoweit einen Straftatbestand zu schaffen.
Der Gesetzentwurf wird nun mit der Stellungnahme des Bundesrates zu weiteren Beratungen an den Bundestag überwiesen.
Video zur Rede Gemkow
Zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung bewachungsrechtlicher Vorschriften hat der Bundesrat im ersten Durchgang Stellung genommen.
Aufgrund verschiedener Vorfälle in der jüngsten Vergangenheit, unter anderem vereinzelten Übergriffen in Flüchtlingsunterkünften durch Bewachungspersonal, wurden vielfach Forderungen nach einer Verschärfung des Bewachungsrechts erhoben. Aus diesem Grund will die Bundesregierung § 34a Gewerbeordnung und die Bewachungsverordnung ergänzen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Bewachungsunternehmer sich zukünftig einer Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen und einen Sachkundenachweis vorlegen müssen. Dazu sollen die zuständigen Behörden eine polizeiliche Stellungnahme einholen. In besonders sensiblen Bereichen und in besonderen Fällen kann auch eine Abfrage bei den Verfassungsschutzbehörden erfolgen. Für Personen, die in leitender Position mit der Bewachung von Flüchtlingsunterkünften eingesetzt sind oder Großveranstaltungen überwachen, ist ebenfalls ein Sachkundenachweis erforderlich. Mit diesen Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass Bewachungsunternehmen sich rechtlich einwandfrei verhalten und die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten für die Ausübung ihres Gewerbes mitbringen.
Bis zum 31. Dezember 2017 soll zudem ein zentrales Bewacherregister errichtet werden, in dem bundesweit Informationen der Bewachungsunternehmer und des eingesetzten Personals elektronisch erfasst werden. Das erleichtert die Umsetzung des Gesetzes und erhöht die Transparenz. Der Bundesrat fordert in seiner Stellungnahme eine Präzisierung der Vorschriften und schlägt mit den Stimmen Sachsens zusätzliche notwendige Auflagen für Bewachungsunternehmen vor.
Der Bundesrat hat einer Verordnung zugestimmt die vorsieht, dass öffentliche Fernsehübertragungen während der Europameisterschaft auch nach 22 Uhr genehmigt werden können.
Mit der vorliegenden Verordnung soll die Durchführbarkeit von öffentlichen Fernsehdarbietungen im Freien über die Fußball-Europameisterschaft 2016 (sogenanntes Public Viewing) ermöglicht werden. Die Liveübertragungen der Spiele auf Großbildleinwänden erfreuen sich großer Beliebtheit. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen sind dadurch jedoch erhebliche Lärmemissionen im Umfeld der jeweiligen Veranstaltungsorte zu erwarten. Um eine möglichst rechtssichere Durchführung und einen konfliktarmen Ablauf solcher herausragender Sportveranstaltungen zu unterstützen, ist die Schaffung eines bundesweit einheitlichen Instrumentariums zu begrüßen. Deshalb wird den für die Genehmigung solcher Veranstaltungen zuständigen Kommunen der rechtliche Spielraum gegeben, Ausnahmen von geltenden Lärmschutzregeln zuzulassen.
In den Jahren 2006, 2008, 2010 und 2014 wurden bereits für die Fußball-Welt- und Europameisterschaften bundesweite Ausnahmeregelungen für die öffentlichen Fernsehübertragungen im Freien bis in die Nachtstunden nach 22 Uhr geschaffen. Staatsminister Dr. Jaeckel hob hierzu in einer Protokollerklärung hervor: »Diese Verordnung ermöglicht eine gute Abwägung der Interessen des Einzelnen an Lärmschutz und einer breiten Öffentlichkeit an einem ausgelassen Genuss einer Sportveranstaltung. Damit ist sie ein Beispiel dafür, wie im Umweltrecht gegensätzliche Interessen zum Wohle aller zum Ausgleich gebracht werden.«
Der Bundesrat hat mit den Stimmen Sachsens und in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung geplante Änderungen bei den Straßenverkehrsvorschriften genutzt, um den Verordnungsvorschlag durch eine für die deutschen Überwachungsorganisationen notwendige Übergangsregelung zu ergänzen.
Für eine Übergangszeit sollen demnach Überwachungsorganisationen – wie beispielsweise TÜV oder DEKRA – auch Messgeräte verwenden dürfen, die nicht allen Vorgaben des Deutschen Instituts für Normung (DIN) entsprechen. Hintergrund dafür ist, dass derzeit für ein Teil der erforderlichen Messgeräte wie Bremsprüfstände, Messgeräte zur Abgasuntersuchung oder Scheinwerfereinstellgeräte keine normkonforme Kalibrierung auf dem Markt angeboten wird. Eine Erfüllung der DIN-Norm 17020 ist daher derzeit unmöglich und das bestehende nationale System ist für kurze Zeit wieder einzusetzen.
Ursprünglich sollte die Änderungsverordnung lediglich die Umsetzung von EU-Richtlinien zu einheitlichen Anforderungen für den Einbau, den Umbau oder die Nachrüstung von Rollstuhl-Rückhaltesystemen und deren Nutzung sowie der Anhebung des zulässigen Gesamtgewichts für den Betrieb von Bussen auf 19,5 Tonnen sicherstellen. Die Öffnungsklausel für einen Übergangszeitraum zur Erfüllung der DIN-Norm 17020 wurde vom Bundesrat hinzugefügt.
Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen haben einen Gesetzesantrag zur sofortigen Abschaffung des Straftatbestands der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten in den Bundesrat eingebracht.
Dieser in der Justizpraxis wenig relevante Straftatbestand rückte jüngst im Zusammenhang mit dem Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Erdogan in den Focus. Die Besonderheit der Strafnorm besteht darin, dass die strafrechtliche Ahndung einer Äußerung – wie im Fall im Böhmermann – einer Ermächtigung der Bundesregierung bedarf. Die antragstellenden Länder sind der Auffassung, dass die im Vergleich zum Straftatbestand der Beleidigung erhöhte Strafandrohung auf einem »überholten kooperatistischen Staatsverständnis« beruhe. Ihrer Auffassung nach entspräche es einem modernen Grundrechtsverständnis, beleidigende Angriffe von Bürgern auf (ausländische) Staatsorgane als »normale« Beleidigung zu bestrafen. Der Antrag wurde im Plenum vorgestellt und zur weiteren Beratung den Fachausschüssen zugewiesen.